Matthias Hüttmann ist Fruchtwerker mit Leib und Seele. Traditionell mit handwerklichen Verfahren stellt seine Manufaktur aus Früchten Essig her. Die Fantasie des Norddeutschen ist dabei unbegrenzt. Der kreative Kopf hat zahlreiche Sorten entwickelt und hört nicht auf.
Gespräch mit Matthias Hüttmann von Fruchtwerker
Herr Hüttmann, wie kamen Sie auf die Idee für Ihre Essig-Manufaktur?
Mittlerweile ist unsere Entstehungsgeschichte über 30 Jahre alt. Hier in der Nähe von Ratzeburg gab es einen Himbeerhof. Dort hat die Bäuerin Emma 15 Jahre lang einen unglaublichen Himbeeressig verkauft. Wir hatten in der Nähe ein Ferienhaus und ich gehörte zu ihrem kleinen Kundenstamm. Dann habe ich mitgekriegt, dass sie sich zur Ruhe setzen und ihr Geschäft aufgeben will. Da sagte ich: Moment, das geht nicht! Das Produkt ist einfach zu gut. Man muss die Sache weiter ausbauen und nicht beenden. Ich habe Ihr das Produkt abgekauft und zunächst nebenbei Fruchtessig hergestellt.
Die Bäuerin Emma hat einen unglaublichen Himbeeressig gemacht.
Sie sind also von heute auf morgen Fruchtwerker geworden?
Tatsächlich war ich früher alles andere als ein Fruchtwerker. Ich habe Jura studiert und bin ich nach dem Studium im Management von Lebensmittelbetrieben gelandet. Beim ersten Unternehmen ging es um die natürliche Färbung von Lebensmitteln wie z.B. mit Beta Carotin. Neun Jahre habe ich dort in Vertrieb und Marketing gearbeitet. Anschließend habe ich 7 Berufsjahre im Vorstand einer Firma verbracht, die Früchte professionell trocknet. Mir war also die Materie nicht ganz unbekannt. 2009 musste ich mich dann ganz oder gar nicht für den Fruchtwerker entscheiden. Seitdem habe ich nichts anderes gemacht!
Was ist das Geheimnis Ihrer Rezeptur?
Das ganze Geheimnis verraten wir natürlich nicht. Aber die Mazeration ist der Schlüssel zu unserem Erfolg. Dahinter steckt echtes Handwerk und das braucht einfach Zeit. Wir setzen keine Wärme oder Hitze ein, um den Prozess zu beschleunigen. Erwärmung verfälscht bei Früchten Farbe und geschmacksgebende Aromen. Natürlich nutzen wir noch andere Details, Tricks und Kniffe. Aber die Mazeration ist ein rein physikalischer Vorgang bei dem wir die wertvollen Inhaltsstoffe gewinnen. Wir arbeiten mit der reinen Frucht ohne irgendwelche Zusätze.
Hinter der Mazeration steckt echtes Handwerk, das Zeit braucht.
Wie läuft eine Mazeration ab?
Technisch gesehen hat die Bäuerin Emma schon mazeriert. Sie hat frische Himbeeren eine Woche in Essig eingelegt. Er löst Farbstoffe und Aroma aus den Früchten. Nach Pressung des Mazerats kochte sie die Flüssigkeit mit Zucker ein. Wir haben mit Emmas Himbeeressig-Rezept angefangen. Im Prinzip stellen wir unseren Fruchtessig immer noch so her. Natürlich sind die Mengen größer geworden. Dieses Jahr bringen wir unsere zehnte Sorte auf den Markt. Die Dauer der Mazeration hängt von der Frucht ab. Äpfel haben schon nach vier Tagen Aroma und Farbe vollständig an den Apfelessig abgegeben. Bei Johannisbeeren dauert es z.B. zehn Tage. Warum das so ist, wissen wir nicht genau. Das ist einfach unsere Erfahrung.
In welchen Mengen stellen Sie Fruchtessig mittlerweile her?
Wir haben mit 15 l Kochtöpfen in Schmilau bei Ratzeburg angefangen. Dann hatten wir eine kleine Küche in Mecklenburg. Seit 2016 besitzen wir hier in Talkau eine Kochanlage. Sie fasst 200l Volumen pro Kocher. Auf 400 m² produzieren wir jedes Jahr um die 300.000 Flaschen. Die Lage ist verkehrstechnisch ideal. Aber wenn wir weiter wachsen, müssen wir uns wieder was neues überlegen.
Wir haben mit 15 l Kochtöpfen angefangen.
Wie entstehen neue Rezepturen?
Wir haben keine spezielle Entwicklungsabteilung. Nebenbei setzen wir neue Rezepturen in kleinen Mengen an. Dann testen wir im Team den Geschmack. Manches finden wir gut, anderes nicht. Nur wenn wir wirklich überzeugt sind, nehmen wir den Ansatz bzw. das neue Produkt ins Gesamtsortiment auf.
Was macht Fruchtwerker-Essig qualitativ aus?
Der Fruchtanteil liegt bei uns tatsächlich höher als bei den meisten anderen Herstellern. Unser Essig besitzt durchschnittlich 25 % Frucht. Je nach Obstsorte variiert der Anteil ein wenig. D.h. bei uns ist ein viertel der Rezeptur echte Frucht und das macht den Unterschied. Andere Produzenten verwenden in der Regel Fruchtsaftkonzentrate. Wir nehmen uns Zeit für eine handwerkliche Mazeration. So extrahieren wir das originale Aromenspektrum einer Frucht. Wir verzichten auf jegliche Zusatzstoffe und setzen auf Natur. Auch genveränderte Rohstoffe wären bei uns ein absolutes No-Go. Diese Haltung gehört zu unserem Markenkern.
Wir extrahieren das originale Aromenspektrum einer Frucht.
Woher beziehen Sie Ihr Obst?
Rote Früchte beziehen wir möglichst aus der Region. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes naheliegend. Allerdings brauchen wir mittlerweile große Mengen. Teilweise müssen wir rote Früchte hinzukaufen. Wir erhalten sie von einem Hamburger Händler. Das ist meist deutsche Ware. Manchmal stammt das Obst auch aus Polen oder Serbien. Auf keinen Fall beziehen wir Ware aus China. Da wissen wir nicht, ob die Früchte Pestizide oder sonst was enthalten. Wir bleiben definitiv bei europäischen Rohstoffen. Zitrusfrüchte erhalten wir aus Spanien, Italien oder Griechenland. Essig kaufen wir von einem großen Hersteller, den wir sehr gut kennen.
Warum verwenden Sie für Brombeer & Essig Agavendicksaft?
Zuckerreduktion und Zuckerersatz sind aktuelle Themen. Letztes Jahr haben wir Essig & Brombeere mit Agavendicksaft auf den Markt gebracht. Der Dicksaft süßt ungefähr 30 % stärker als Zucker. Wir können ihn in deutlich geringeren Mengen einsetzen. Das macht sich auf der Zutatenliste positiv bemerkbar. Der Anteil an Kohlenhydraten sinkt. Agavendicksaft kostet allerdings fast das sechsfache als Zucker. Das Endprodukt ist teurer. Dennoch sind unsere Kunden von dem Essig begeistert. Dieses Frühjahr gibt es eine Kreation mit Blaubeere. Wir überlegen tatsächlich unser ganzes Sortiment mit Agavendicksaft anzubieten. Das hängt letztendlich von den Wünschen der Verbraucher ab.
Es ist doch Wahnsinn, Produkte um den halben Erdball zu transportieren.
Warum ist Ihnen Regionalität wichtig?
Dahinter steckt derselbe Grund, warum wir auf eingeflogene Orangen verzichten. Es ist doch Wahnsinn, Produkte um den halben Erdball zu transportieren. Ich verstehe manchmal gar nicht, wie sich das kostenmäßig rechnet. Unsere Äpfel beziehen wir von meinem Freund. Sein Obsthof liegt hier am Sachsenwald keine 20 km Luftlinie entfernt. Die Mengen, die er nicht liefern kann, bekommen wir aus dem Alten Land. Das ist ein sehr bekanntes Obstanbaugebiet südlich der Elbe. Wieso sollte ich Äpfel vom Bodensee holen? Wir pflegen hier langjährige Beziehungen zu unseren Lieferanten. Lange bevor der Begriff Nachhaltigkeit ein großes Thema war, haben wir auf Regionalität geachtet. Es macht einfach keinen Sinn Waren durch die Welt zu schippern, wenn ich sie vor Ort bekommen kann.
Wie kamen Sie auf den Namen Fruchtwerker?
Fruchtwerker ist ein Kunstwort. Der Name verdeutlicht das Handwerkliche an unserer Herstellung. Mazeration ist ein altes Verfahren. Schon vor Jahrhunderten haben die Menschen Früchte eingelegt und anschließend gepresst. Handwerk gehört ganz klar zu unserer Unternehmensphilosophie und die Frucht steht dabei im Mittelpunkt. Das spiegelt sich auch in unserem Design wieder. Die Schreibschrift verweist auf Handarbeit. So nehmen uns auch die Kunden und Händler wahr.
Bei uns steht die Frucht im Mittelpunkt.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Wir denken darüber nach unser Sortiment mit neuen Produkten zu erweitern. Essig-Herstellung ähnelt im Prinzip der Sirup-Produktion. Konventioneller Sirup besteht meist aus Aromen, Farbstoffen und vielleicht ein bißchen Saftkonzentrat. Wir überlegen einen traditionell hergestellten Sirup anzubieten. Mit einer Hamburger Hochschule tauschen wir uns über innovative Fruchtaufstriche aus. In jedem Fall wird bei neuen Produkten der Kern unserer Arbeit eine natürliche Herstellung bleiben. Handwerk und echte Früchte sind bei uns Programm.
Was sollten Kunden an Ihrem Fruchtessig schätzen?
Wir arbeiten mit der echten Frucht und bieten authentischen Geschmack. Daher ist unser Essig intensiv und als Würzmittel sehr ergiebig. Unsere Kunden sind sehr zufrieden. Sie empfinden das Preis-Leistungsverhältnis als fair und zahlen gerne ein bisschen mehr. Unser Brombeer & Essig ist aufgrund des Agavendicksaftes noch einen Euro teurer. Aber auch das verstehen und akzeptieren die Kunden. Sie fühlen sich mit der Zuckeralternative wohler. Wir freuen uns sehr darüber. Das zeigt uns, dass die Kunden unsere Qualität schätzen und gerne einen angemessenen Preis dafür bezahlen.
Haben Sie ein Lieblingsprodukt und eine Rezeptempfehlung?
Ich persönlich mag unseren Orange & Essig am liebsten. Wir verarbeiten dafür Bio-Orangen mit Schale zu einem Orangenmus. So gelangen die ätherischen Öle der Frucht in den Essig. Das ergibt einen leicht bitteren Geschmack wie bei Englischer Orangenmarmelade. Seit Jahren liebe ich unsere Rezeptempfehlung Mariniertes Hähnchen mit Orange & Essig. Gegen Ende des Garvorgangs bestreicht man das Hähnchen zwei, dreimal mit dem Fruchtessig. So erhält man eine leckere Kruste. Das schmeckt hervorragend!